Antwort auf: Lieblings NICHT-amerikanisch Filme von DaveTheBrave

Farman
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Ich poste es mal hier statt im zuletzt gesehen.

Nach längerer Pause wegen EM et cetera und vor folgender längerer (unibedingter) Pause hab ich mir gestern eine lange Filmnacht gegönnt. Eine japanische Filmnacht, bei der ich drei bereits gesehene und lieben gelernte Filme aus dem fernen Osten nochmal neu begutachten wollte. Ein Erlebnis. Wenn ich jetzt ne top ten aufstellen müsste, wären die drei allesamt drin.

Angefangen hab ich mit Sonatine.
Seit ich meinen langen Text für die Filmzentrale geschrieben habe, was jetzt schon länger her ist, ist das das erste Mal, dass ich ihn wieder schaue. Es war eine erneute Offenbarung.
Wo fängt man mit dem Erwähnen an? Vielleicht hiermit: Dass kein gegenwärtiger Regisseur mit so einer Anmut und mit so einer Schönheit die Stille filmen kann wie Kitano. Mit so einer Kontrolle und mit so einer Selbstverständlichkeit. Sonatine ist ein Film über Gewalt, Tod und Krieg, Kapitalismus und Nihilismus, gefilmt mit einer solchen Subtilität und einer solchen Beiläufigkeit, dass man versteht, warum man als Filmliebhaber das ein oder andere mal nach Japan schielen sollte.
Was Sonatine so japanisch macht ist seine, wie das von Intellektuellen immer so bezeichnet wird, Verbindung von Ethik und Ästhetik. Nur, und wirklich nur mit Blick auf einen so grandiosen Film kann ich bspw. einige der Vorwürfe verstehen, die in Richtung Tarantino gemacht werden bzg. seiner Gewaltdarstellung, sonst blieben sie mir immer unverständlich. Hollywood hinkt halt schon lange hinterher.
Man wird immer wieder unweigerlich an viel erinnert. Die wiederkehrenden, repititiven Kontraste von Räumlichkeiten, ihre Sinnlosigkeit und ihre Schönheit (der Strand), könnten so von Antonioni stammen. Die zynische Untertreibung von schockierendem Inhalt könnte so von Howard Hawks stammen. Das Gespür für Natürlichkeit in den absurdesten visuellen Gags könnte so von Buster Keaton stammen. Und doch ist dieser Film rein japanisch.
Wegen seiner Unterhaltsamkeit und seiner Kürze der am leichtesten zu konsumierende Film der drei. Könnte ich jeden verdammten Abend in den Player legen, und dieses unglaubliche Ende würde mich aufs neuste parallelisieren, ebenso wie ich mich aufs neuste darüber kranklachen kann, wie Takeshi am Strand in einem "spaßigen" Kriegsspiel mit Feuerwerkskerzen "aus Spaß" anfängt mit echten Kugeln zu schießen.

Weiter gings mit Tokyo Story.
Es ist immer das schlimmste für ein Filmerlebnis, wenn man das Gefühl hat, man versteht, "worum es geht". Man findet eine Szene bewegend, sieht anhand der Handlung, Inszenierung, und allen möglichen Faktoren des Kontexts noch während des Gefühls sowas wie die "Thematik" des Ganzen. Irgendwann kommt es zu einer Trotzreaktion. "Ok, I get the point. Let's move on".
Deswegen wird Tokyo Story, so sehr man ihn auch beim ersten Sehen liebt, nie seine ganze Kraft entfalten können, wenn man ihn nicht mehrmals sieht. Dann schaut man ihn nicht an, als wäre es ein Film, mit präzise berechnetem Zeitrahmen für Emotion oder Thematik, sondern man blickt ihn an wie das echte Leben, in dem es weder präzise verteilte emotionale Phasen noch bereitgestellte Häppchen an Thematik gibt. Das ganze ist ein großes Chaos, in Tokyo Story wird das Ganze zu einem großen, langen Fluss. Das große ästhetische Credo von Ozu ist, dass dieser Fluss einen nicht überschwemmt. Er nimmt einen mit, langsam, jedesmal ein Stückchen weiter, und wo man am Ende steht, kann man selbst nicht so genau sagen, auch wenn man es innerlich fühlt.
Tokyo Story ist ein Fluss eingefangen mit einer Kamera, die sich nie bewegt. Auf die komplexest mögliche Weise schafft der Film die größtmögliche Simpelheit. Ebenso in seiner Handlung: Ein altes Ehepaar reist von einem kleinen Dorf in die große Stadt Tokyo, um dort, wohl das letzte Mal vor ihrem Tode, ihre Kinder zu sehen, die es dort (mehr oder weniger) zu was gebracht haben. Dort erleben sie den ganzen Dreck der Moderne und des Kapitalismus, ohne dass irgendwer wirklich was böses tut oder was böses will. Der Film beobachtet das "normale" mit einer solchen Präzision, dass jede kleine Abweichung zu einer Tragödie wird. Die Tragödie des Films ist, dass es nur Abweichungen gibt. Die Tragödie des Films ist die Unbeweglichkeit des Menschen und die Beweglichkeit der Zeit (womit bei dem ständigen Satz "unsere Kinder haben sich verändert" im Prinzip nichts anderes gemeint ist).
Dieser Film gibt uns mehr, als wir je in der Lage wären, von einem Film zu verlangen. Schlichtweg überirdisch. In seiner Menschlichkeit und in seiner Traurigkeit. Deswegen sollte ihn jeder sehen.

Abgeschlossen wurde diese einmalige Nacht mit The Life of Oharu.
Was einen Film "japanisch" macht, ist seine Schnörkellosigkeit wenn es darum geht, sich auf das "Wesentliche" zu konzentrieren. "The Life of Oharu" ist für mich der heilige Gral unter den japanischen Filmen.
Michael Haneke sagte zu "Funny Games", er wolle die Gewalt als das zeigen, was sie ist: Nicht konsumierbar. Durch die Offensichtlichkeit und die Plumpheit dieser ästhetischen Strategie kreierte er einen Film, der um den heißen Brei herumredet und in Wirklichkeit nichts sagt, bzw. nichts über die Wirklichkeit sagt.
Mizoguchi hingegen schafft mit "The Life of Oharu" den für mich mittlerweile un-"konsumier"-barsten Film überhaupt mit einer so unglaublichen formalen Schönheit, dass ich mich frage, ob man das überhaupt noch "Film" nennen kann.
Wie es der Titel andeutet, verfolgt der "Film" eine Frau durch ihr Leben, in kurzen Abschnitten, und zeigt, wie sie vom königlichen (oder semi-königlichen) Hof in die niedersten sozialen Abgründe hinabsteigt. Auch hier kann ein einmaliges Sehen nicht ausreichen. Mir schnürt dieser Film die Kehle zu, lässt mich beim Sehen nicht atmen. Dieser Film schockt nicht. Er verstört. Sein Erfolg ist im Gegensatz zu einem Film wie "Funny Games" (mit dem er wenig gemein hat, soviel soll klar sein), dass der Film mit genauerem Sehen unbarmherziger ist, und nicht umgekehrt. Im Vergleich zu diesem Seherlebnis wirken sogar sehr gute Filme wie Rivettes "La Religieuse" oder Polanskis "Tess" manipulativ und simpel, und solch lachhafter Schrott wie "Lilja 4-ever" lässt einen amoklaufen.
Im Gegensatz zu Ozu, der nie die Kamera bewegt und ständig hin und her schneidet, bewegt Mizoguchi die Kamera und schneidet nie. Das Leben der Frau Oharu wird in jeweils schnittlosen Sequenzen erzählt, in denen die Kamera stets verfolgt, und in dem einem die Räume und Landschaften des feudalen Japans komplexer, verschachtelter und metaphorischer erscheinen als den feudalen Japanern damals. Noch nie habe ich eine so elegante Kamera gesehen. Löst den Konflikt zwischen Voyeur und Gegenstand, als ob es ihn nie gegeben hättte.
"The Life of Oharu" ist der Film, der sein Medium hinter sich lässt, und deswegen kein Film, den man sich jeden Abend aufs neue antun kann. Man sollte ihn sich selbst zu Liebe aber in regelmässigen Abständen anschauen.

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Ich vermag natürlich besser zu dichten, als wie's hier geschieht. Ich spare mich für später auf.
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