Antwort auf: Re:Motorcycle Diaries von MoD

Farman
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>Inwieweit solch ein Film reale Fakten wiedergeben kann ist schwer zu beurteilen, genausowenig wie irgendein Fakt über Che in Mythos oder Wahrheit zu klassifizieren ist.

Hast Recht. Meine Ansicht ist die folgende: Ob ein Film gut oder schlecht ist hat vorerst mit historischen Fakten wenig zu tun. Ich würde fast sagen nichts zu tun, aber das wäre wohl zu viel gesagt und angesichts solcher Szenen wie das Aufstehen Roosevelts aus seinem Rollstuhl in "Pearl Harbor" fast ein wenig obszön, sowas zu sagen. Aber selbst bei Pearl Harbor ist es nicht die Tatsache, dass gewisse Fakten nicht stimmen, die diesen Film schlecht macht.

Lüge und Wahrheit in einem fiktionalen Film haben einen anderen Charakter als in einem Geschichtsbuch. Wenn ich in "Motorcycle Diaries" bspw. sehe, wie der Klischeelatino begleitet von südlandisch klingendem Geklimper in einer Szene nach einem besonderen Erlebnis, und zwar irgendein aufeinandertreffen mit jemand Armem, nachdenklich in die Kamera schaut, begleitet von einer "Mutter Natur"-Atmosphäre, dann ist das eine dreiste Lüge, und zwar eine solche, die nichts mit "Fakten" zu tun hat und auch gar nichts mit Che Guevara persönlich. Faktisch gesehen ist es mehr oder weniger erwiesen, das Che Guevara durch diese Reise dazu veranlasst wurde, revolutionäre Gedanken zu hegen und seinen Kontinent zu verändern. Es waren also Erlebnisse, Begegnungen, die eine psychologische Wirkung hatten, deren Ausgang historisch umrissen ist. Doch diese Szene in dem Film war für mich so unerträglich, weil genau damit schlampig umgegangen wird, wozu ich persönlich überhaupt erst einen Film drehen würde: Dieses historisch umrissene, aber dennoch auf ewig mysteriös bleibende Ursache-Wirkungs-Prinzip inszenatorisch, filmisch, mit Bildern gerecht zu werden, für diese Frage eigenständige, klischeefreie Bilder zu finden, die auf eigenen Füssen stehen. Ich schaue den Film und das Mysterium bleibt, ist aber reicher, komplexer und vielfältiger und ich trage es irgendwie im Herzen.
Wenn du aber wie dieser lausige Streifen ein paar armen Leuten genau jenes Erscheinungsbild gibst, was gerade dazu ausreicht, sie als "arm" und "unschuldig" und "bemitleidenswert" abzuhaken, und ihnen genau jene Sätze in den Mund legst, die genau dieses Ursache-Wirkungs-Prinzip so bestätigen, wie man sich das vorstellt (sinngemäss nichts weiter als "ich bin arm, obwohl ich gut bin. Et iss klar dass man für mich zur Knarre greifen soll", Che Guevara als mysteriöse Gestalt genau in die Rolle einzwängst, die durch unsere Sehgewohnheiten sympathisch wirkt, nichts weiter als eine 08/15-Kinogestalt, mit Bildern und Musik genau so schlampig arbeitest, dass alles bloß eine These auf dem Niveau der Krabbelgruppe bestätigt (edle Melancholie => Sehnsucht nach Mutter Natur => böse Zivilisation => Revolution), dann nennt sich das in meinem Sprachgebrauch eine Lüge. Eine Lüge der Inszenierung, und was ist denn ein Film sonst außer das, was wir sehen.

Ist alles noch sehr viel komplizierter mit Wahrheit und Lüge in Sachen Film imo. Aber ich möchte nicht zuweit ausgreifen.

Edit: Der von mir im ersten Post erwähnte alte amerikanische Regisseur John Ford wurde erwähnt um meinerseits zu sagen, dass der "Wahrheitsgehalt" eines Filmes überhaupt gar nicht mit "Fakten" belegt werden kann, so absurd es auch klingen mag. Fakten sind etwas konkretes und "Wahrheit" ist etwas abstraktes. Dieses Wort wird vor allem durch unsere Medienkultur und halt für mich durch Filme wie diesem brutalst vergewaltigt. Das heißt: Wenn mir ein Historiker was erzählt, kann ich einen anderen zu Rate ziehen, um seinen Fakten evt. mehr zu glauben als vorher. Wenn ich selber ein Historiker werde, dann zu einem großen Anteil durch andere Historiker. Um einem Film zu "glauben" kann ich als einzige Person auf der Erde letztendlich nur mich selbst befragen. Das eigene Erleben ist und bleibt die letzte Instanz bei einem Film, wenn es um die Frage nach seinem Wahrheitsgehalt geht.

(Diese Nachricht wurde von Farman am 23.07.2008 00:52 editiert.)

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