Henry Chinaski
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Mitglied seit: 09.11.07
Ort: Chemnitz
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Otto Normalverbraucher hat das Laufen verlernt. Zumindest diejenigen, die frühzeitig den Führerschein gemacht haben. Wie lässt sich sonst erklären, dass man sich derart auf seinen fahrbaren Untersatz festnagelt? Behauptet, man sei unbedingt darauf angewiesen, ein Auto zu besitzen. Vor dem Führerscheinerwerb musste alles ohne Auto funktionieren, hats auch. Damals hat man sich noch gesagt, dass man nicht zum fußfaulen Volk gehören wird und auch mal die 10 Minuten bis zum Bäcker läuft. Das Ende vom Lied: ins Auto springen und mal schnell um die Ecke fahren ist einfach bequemer.

Dann irgendwann auf ner Strecke von a nach b: Kontrollverlust, ein Knall, alles wie im Traum, Auto futsch, kein Traum. Ich war Otto Normalverbraucher, jetzt steh ich ohne Auto da. Geht denn das? Wie gehts weiter? Tage des Wartens, Grübelns, Abwägens - muss doch irgendwie zu reparieren sein, die Karre. Ist sie auch, kostet allerdings mehr, als mir das Teil wert ist. In der Zwischenzeit, als Behelfslösung, hab ichs dann doch auf die Reihe gekriegt, auch mal Bus und Bahn zu nehmen - um einzusehen, dass die Anbindung gar nicht so unideal ist. Ein paar Tage vergingen auf diese Art, den Weg zur Arbeit und zurück hab ich mit Bücherlesen, Musikhören und aus dem Fenster schauen verbracht (morgens halb 6 lohnt es allerdings nicht, aus dem Fenster zu sehen - 3 Meter Sicht reichen nicht aus, die Gedanken großartig schweifen zu lassen ). Und wie´s diese "Fügung" so wollte, schwirrten mir auf einmal ganz neue Gedanken durch den Kopf: Bildideen, Fetzen, aber vor allem die Einsicht, dass es auch so funktioniert. Dass ich, der Stadtmensch, der keine 50km-Wege abklappern muss, endlich bemerkt habe, dass das aufs-Auto-Pochen nur ein billiger Vorwand für die eigene Bequemlichkeit geworden ist.

Natürlich hats auch Nachteile. Großeinkäufe sind erstmal passé, auch das "Einkaufscenter-Hopping" (Begriffserklärung: freie Tage wurden von mir oftmals dazu genutzt, ein Einkaufscenter nach dem anderen abzuklappern, ich hätte ja was verpassen können). Es wird sich auch als schwierig erweisen, großartige Lasten zu befördern (momentan muss reichen, was in den Rucksack passt und mit den Händen zu tragen ist).
Aber die Kostenersparnis: Steuern, Benzin, Versicherung, Reparaturen dank Verschleißteilen (die stellenweise auch schwer ranzukriegen waren), TÜV, ADAC...das war für mich überzeugend genug.

Seit gestern bin ich nun los, mein Gefährt, das mich viele Jahre begleitet hat. Ich habs für nen Appel und ´n Ei verkloppt, sollen die damit machen, was sie wollen, das Kapitel ist für mich abgehakt, jetzt gehts an ganz andere Sachen und Zukunftspläne. Ich will nicht sagen, dass ich ewig autofrei sein werde, aber zumindest bin ich um ne Einsicht reicher (für die mir viele Leute aus meinem Umfeld wohl den Vogel zeigen): ein Auto ist kein Muss, vieles geht auch anders, bloß will das ein Autofahrer, der erstmal 1000 Euro und mehr für den Führerschein und anschließend nochmal mehrere 1000er für ein Auto berappt hat, nicht zugeben. In meinem Fall war der Unfall sowas wie ne Ernüchterung, eine Hilfe zum Nachdenken.

Ich hab mal geglaubt, im Auto wirke Musik am Besten - das war ein Irrtum. Im Bus sitzend einer von vielen sein, abgeschirmt durch Musik, mit dem Blick aus dem Fenster, auf die schnell vorbeiziehenden Schlechtwetterwolken und die sich im Wind wiegenden, kahlen Bäume schauend - sowas ist mir im Auto nie aufgefallen, sei die Musik auch noch so laut gewesen...


Wers bis hier hin geschafft hat, möchte vielleicht gern seine Meinung kundtun, ähnliches schildern, mein Blabla revidieren, zerreißen oder verbrennen. Nur zu, ich bin gespannt

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ich bin der dirty old man und ich kann machen, was ich will
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